Mit diesem Roman begann Frank Schulz im Jahr 2012 seine Romantrilogie um seinen Helden Onno Viets, dem von Hartz IV lebenden Lebenskünstler, Nichtschwimmer und Noppensocken tragenden Tischtennisspieler aus Hamburg-Eppendorf. Schulz‘ Roman führt Onno nicht nur als Detektiv ein, sondern enthält auch eine bizarre Verfolgungsjagd und Geiselnahme – die nur vergleichbar ist mit Karen Duves Schilderung einer Entführung eines Schimpansen samt Trümmerfahrt in ihrem Roman Taxi. Die Geschichte von Onno Viets und dem Irren vom Kiez wird in Rückblenden erzählt von Onnos Freund, dem Rechtsanwalt Christopher Dannewitz.
Das Abenteuer nimmt Fahrt auf, nachdem Onno seinen Tischtennisfreunden beim wöchentlichen Après-Tischtennis eröffnet hat, dass er fortan als Detektiv arbeiten wolle. Onnos bisheriger beruflicher – wenn man so sagen will – Karriereweg war im wahrsten Sinne von Pleiten und Misserfolgen gepflastert. „Onno war faul, verglichen mit Onno war Aas emsig“, sinniert Dannewitz. Daher befürchten er und die Tischtennisfreunde, dass auch diese Berufsidee zum Scheitern verurteilt sei. Onnos Entschluss entspringt allerdings einer Zwangslage. Denn er hat das Finanzamt im Nacken, welches eine Einkommenssteuernachzahlung einfordert, und den 50. Geburtstag seiner Frau Edda vor der Brust, der er ein neues Fahrrad schenken möchte, das sie sich schon lange wünscht. Um diese pekuniären Herausforderungen zu meistern, braucht Onno schnellstmöglich einen Job.
Onnos Odyssee beginnt
Der erste Auftrag lässt dann auch nicht lange auf sich warten. Dannewitz vermittelt Onno seinen ersten Klienten: Poptitan und Jurymitglied einer obskuren Castingshow, Harald Herbert Queckenborn alias Nick Dolan. Ein Schelm, wer Bohlen dabei denkt. Queckenborn alias Dolan mutmaßt, dass seine neue Freundin Fiona Schulze-Pohle alias Fiona Popo ihn betrügt. Die Figur der Fiona ist unschwer zu erkennen als Verona Pooth, geborene Feldbusch, die 1996 eine Kurzehe mit Dieter Bohlen führte. Der Poptitan beauftragt Onno, Fiona zu observieren und beweiskräftige Fotos zu liefern. Nachdem Onno in Dannewitz‘ Kanzlei, die sich am Jungfernstieg neben dem Alsterhaus befindet, seine Detektivausrüstung samt Kamera erhalten hat, startet er die Überwachung.
Diese führt ihn zunächst in den noblen Uhlenhorst. Der Uhlenhorst ist nach Ansicht des Hamburger Stadtmarketings „ein besonderer Stadtteil, das fängt schon beim Namen an. So wohnt man nicht in Uhlenhorst, man wohnt auf der Uhlenhorst. Dies resultiert aus einer ehemaligen Insellage des Stadtteils, als dieser noch als Papenhude bekannt war.“ Auf der Uhlenhorst liegt Fionas Wohnung. Da Schulz die Straßennamen in seinem Roman maskiert, kann ich nur vermuten, dass er Fionas Wohnung am unteren Ende der Papenhuder Straße, wo diese in die Graumannstraße mündet, verortet.
Onnos Observation scheint zunächst wenig einzubringen. Doch nach einigen Tagen und einer Verfolgungsfahrt bis auf die Reeperbahn erwischt er Fiona in flagranti. Sie trifft dort ihren Liebhaber Tibor, einen über zwei Meter großen Hünen. „Selbst sein Lächeln war muskulös“, lässt Schulz seinen Helden sinnieren.Gemeinsam gehen Tibor und Fiona in die Kiezkneipe Zur Ritze, die 1974 vom ehemaligen Boxer Hanne Klein gegründet wurde. Die Kneipe ist wegen ihres Eingangsbereichs mit seinen zwei gespreizten Frauenbeinen bekannt und längst nicht mehr nur Treffpunkt der Hamburger Halbwelt, sondern eine beliebte Touristenattraktion.
Onno beabsichtigt, dort Fiona und Tibor unauffällig zu fotografieren, damit er Queckenborn einen stichhaltigen Beweis für die Untreue seiner Freundin liefern kann. Als er das Lokal betreten will, fliegt die Eingangstür mit massiver Gewalt auf und Tibor schießt heraus, gefolgt von Fiona. Dieser Zwischenfall beschert Onno einige Hämatome. Nachdem das Liebespaar verschwunden ist, trifft er in der Ritze seinen alten Kommilitonen Albert Loy. Dieser ist als Sozialarbeiter auf St. Pauli tätig und kann Onno mehr über Tibor berichten. Dieser sei ein krimineller, hochaggressiver Soziopath. Tibor arbeite für einen Kiezoligarchen, der ihm den Spitznamen Händchen verpasst habe, denn „Tibor habe ein Händchen für andersdenkende Geschäftspartner.“ Da Onno nicht lebensmüde ist, will er den Auftrag wieder abgeben. Doch bevor er Queckenborn benachrichtigen kann, beauftragt dieser ihn vielmehr damit, die Observation Fionas auf Mallorca fortzusetzen. Queckenborn berichtet Onno, dass Fiona angeblich mit einer Freundin eine Woche auf der Baleareninsel ausspannen wolle. Doch nicht auf seiner, Queckenborns, Finca, sondern auf der Finca der Freundin. Fiona werde dort gewiss ihren Lover treffen, mutmaßt der Poptitan. Da Fionas Freundin denselben Gärtnerdienst habe wie Queckenborn, solle Onno – getarnt als Gärtner – die beiden überwachen und einen Beweis für die Untreue seiner Freundin in Form eines Fotos erbringen.
Menage a trois auf Mallorca
Wenige Tage später sitzt Onno in der Abflughalle des Hamburger Flughafens, um nach Palma de Mallorca zu fliegen. Bereits beim Abflug ,verbrennt‘ er. Denn er beschützt Fiona vor einem aufdringlichen Verehrer. Daraufhin weicht ihm diese bis zur Ankunft in Palma nicht mehr von der Seite. Da er sich nun nicht mehr als Gärtner tarnen kann, nimmt er Fionas Einladung an, sie auf der Finca zu besuchen, wo ebenfalls – wie Queckenborn vermutete – Tibor zugegen ist. Onno, der sich als Otto ausgibt, wird von Fiona und Tibor als väterlicher Freund in ihren Kreis aufgenommen. Er hat das Gefühl, sich um diese dreißig Jahre jüngeren, vom Leben nicht unbedingt begünstigten Menschen kümmern zu müssen. „Güte, Unerschrockenheit, Selbstbewußtsein und -ironie – war es das, was Händchen charmierte? Vermutlich das übliche Viets’sche Charisma“, sinniert Erzähler Dannewitz. Und nicht zuletzt dieselbe Art von Humor, die Onno und Tibor teilen. So freunden sich die Drei auf Mallorca an – wenn auch Onno weiterhin seinen Auftrag im Sinn hat. Es beginnen laut Onno „drei irgendwie geile Tage“, die sie größtenteils auf der Finca verbringen, unter anderem Tischtennis spielend. Wobei ihm seine Pingpong-Reflexe nichts nützen. Gegen Tibor ist er machtlos. Machtlos ist er auch gegen Tibors Bekenntnisse aus seiner Jugend und seiner recht reflexiven, offenen Art mit seinem Hemppler-Syndrom umzugehen – einer Persönlichkeitsstörung mit aggressivem und autoaggressivem Verhalten. Onno gerät zunehmend in einen Loyalitätskonflikt und kämpft mit sich, ob und wie er seinen Auftrag erfüllen soll. Bei ihrem Zusammensein auf Mallorca entsteht eher zufällig ein Schnapsschuss von Fiona und Tibor, welches einen glasklaren Beweis ihrer Untreue liefern könnte. Am Vorabend seines Abfluges nach Hamburg fragt sich Onno in seinem Hotelzimmer, welchen Narren er an Tibor gefressen hat. Ist er auf seine alten Tage schwul geworden? Flammte die Sehnsucht nach einem Bruder auf? Gab es einen gemeinsamen Stallgeruch? Oder war es der „zusätzliche Spielraum, ein Überschuß an Freiheit, Partizipation an atavistischer Macht“, die er an Händchens Seite erlebte?
Abtauchen und abwarten
Angesichts seiner finanziellen Notlage und Eddas anstehendem Geburtstag verwirft Onno nach seiner Rückkehr seine Gewissensbisse und händigt Queckenborn das Foto aus – unter der Bedingung, dass er dieses nicht an Fiona weitergeben dürfe. Dieser liefert das Foto zwar nicht an Fiona, dafür an ein großes Boulevardblatt aus und wirft Fiona in Anwesenheit eines Reporters achtkantig aus seiner Wohnung auf der Uhlenhorst raus. Nachdem Tibor von Fiona alles über Onnos Verrat erfahren hat, geht dieser auf die Suche nach dem Verräter. Er legt zwar keinen Wert auf die Fortführung der Beziehung zur Fiona, ist aber „über die verlogene Existenz des hl. Ottos um so aufgewühlter.“ Händchen beginnt unmittelbar mit seinem Rachefeldzug, der einigen Unbeteiligten lebenslange Blessuren beschert – nur Onno kann er nicht ausfindig machen. Dieser flüchtet mit Edda aufs Land, genauer zu einen Schwiegereltern nach Finkloch, wo er den gesamten Sommer verbringt. Händchen taucht ebenfalls unter und bleibt, wie vom Erdboden verschluckt.
Eddas Eltern haben sich damit abgefunden, dass ihre Tochter einen Spinner geheiratet hat. Sie schlucken auch die Erklärung der beiden, dass diese ausgebrannt seien und Onno in Kürze ein journalistisches Buchprojekt starten wolle – weshalb er Ruhe benötige und sich einige Wochen aufs Land zurückziehen wolle. Was dieser alibimäßig damit kaschiert, dass er Gedächtnisprotokolle seiner Geschichte anfertigt und ansonsten dem Viets’schen Tatendrang frönt: Er bewohnt seines Schwiegervaters Gartenliegen und sorgt sich um Edda, die nach wenigen Wochen auf dem Land wieder ihre Arbeit in Hamburg aufgenommen hat.
Armageddon auf der Alster
Nach drei Monaten im Exil hält es Onno in Finkloch nicht mehr aus. Er sehnt sich „nach dem alten Onnosein.“ Einen Tag nach seiner Rückkehr besucht er seinen Freund Dannewitz in dessen Kanzlei am Jungfernstieg, die einen imposanten Blick auf das Becken der Binnenalster samt Springbrunnen und Ansicht der Lombardsbrücke gewährt. „Ein Ausblick, der noch dem blindesten Tourismusmanager der Welt ein Stevie-Wonder-Grinsen entlocken dürfte.“
Nachdem Onno Dannewitz‘ Kanzlei verlassen hat, entdeckt ihn Tibor auf dem Jungfernstieg. Doch bevor er Onno ergreifen kann, gelingt diesem am Alsterkai die Flucht mit einem beherzten Sprung auf einen ablegenden Alsterdampfer. Onno glaubt sich gerettet. Doch nun beginnt eine der bizarrsten Verfolgungsjagden und Geiselnahmen in der deutschen Literatur, die für Tibor im Koma und für Onno mit einem Trauma endet.
Tibor nimmt die Verfolgung Onnos bzw. des Alsterschiffes mit einem entwendeten Motorrad auf und jagt damit über Ballindamm, Ferdinandstor bis zum Hotel Atlantic. Am Fähranleger des Atlantic – unmittelbar neben dem Café Lorbaß, der heutigen Coco riviera-Bar, und in Sichtweite der Granitskulptur von Max Bill aus den 1950er Jahren –, sieht man wenige Minuten später das Motorrad samt Tibor in die Alster fliegen. Tibor, der splitterfasernackt und nur mit einem Dolch bewaffnet ist, verfolgt schwimmend den Alsterdampfer – atemlos beobachtet von den Fahrgästen samt Onno.
Weil der Schiffsführer nur ahnt, was sich hinter ihm abspielt, und befürchtet, jemand könne sich an der Bootsschraube verletzen, stoppt er die Maschine. Dies ermöglicht es Tibor, den Alsterdampfer elegant zu entern. Weniger elegant, als vielmehr schockierend ist Tibors Anblick: Er hat sich während der letzten Monate am ganzen Körper tätowieren und die Ohren absäbeln lassen. Damit erweckt er bei den Fahrgästen den Eindruck einer hünenhaften Echse. Während der folgenden Geiselnahme auf dem Alsterdampfer scheint es unendlich lang zu dauern, bis Tibor zu dem paralysierten Onno gelangt, der sich dem jüngsten Gericht gegenübersieht. Tibor schildert Onno nicht nur das Martyrium seines wochenlangen Tätowierens und Verunstalten seines Körpers, sondern auch den seelischen Schmerz des von Onno begangenen Verrats. Der Hüne akzeptiert keine von Onnos Antworten auf seine Frage nach den Gründen für dessen Verrat. Schlussendlich versetzt Tibor Onno einen Karateschlag auf einen seiner Vitalpunkte, den sogenannten Bubishi, durch den ein Mensch Tage oder Wochen später sterben soll. So weit wird es zwar nicht kommen, doch Onno bricht bewußtlos zusammen. Tibor selbst – aufgrund von Blutverlust, Stress, Schlaflosigkeit und Drogen – fällt stracks ins Koma, aus dem er nicht mehr erwacht.
Nach der Geiselnahme schirmt Dannewitz seinen Freund Onno und Gattin Edda von der Öffentlichkeit ab. Onno leidet an der Furcht, doch noch an dem Bubishi-Schlag zu sterben, und nicht zuletzt an einer posttraumatischen Störung. Genesung – wenn auch nicht Heilung – bringt erst die Wiederaufnahme der wöchentlichen Tischtennisrunde, die auch weitere Abenteuer Onnos überdauern wird. Wie es mit der Viets‘schen Rekonvaleszenz und seiner Karriere als Privatdetektiv weitergeht, enthüllt Schulz in dem Folgeroman Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen.
Die Zitate entstammen: Frank Schulz: Onno Viets und der Irre vom Kiez, 2. Auflage 2012, Galiani Berlin