Taxifahren als Metapher fürs Leben? Die anderen (in der Regel Männer) bestimmen, wo es langgeht, und frau fährt hin? Karen Duve erzählt das Leben ihrer Ich-Erzählerin Alex Herwig als eine ziellose Irrfahrt durch das Hamburg der 1980er Jahre, deren Takt von Männern bestimmt wird. Ich hoffte immer noch, dass sich irgendetwas von selbst ergeben würde, etwas Großes und Besonderes, ohne dass ich deswegen selber handeln musste oder gezwungen war, Entscheidungen zu fällen, die ich dann den Rest meines Lebens zu bereuen hatte. Aber bis es so weit war, konnte ich ja Taxi fahren. Und so beginnt Alex in einem zwielichtigen Taxibetrieb, wo sie mehrere Jahre einzige Frau in einer Gruppe von taxifahrenden Möchtegern-Künstlern und Suhrkamp-Bücher lesenden Langzeitstudenten bleibt. Duve beschreibt das Taxifahrer-Milieu als ein vom Rest der Gesellschaft isoliertes Biotop mit besonderen, häufig frauenfeindlichen Sichtweisen auf die Gesellschaft. Alex‘ gesellschaftliche Kontakte reduzieren sich aufgrund der ständigen Nachtschichten zunehmend auf diesen Kreis von Taxifahrern.
Lieber nicht leben, als falsch leben
Der in zwei Teilen gegliederte Roman beleuchtet Alex‘ Lebens von 1984 bis 1986 und von 1989 bis 1990. Wobei unklar bleibt, was Duve mit diesen Zeitmarkierungen bezweckt, da sie gesellschaftliche, politische oder ökonomische Ereignisse höchstens einmal andeutet. So kommt Duves Roman beispielsweise fast ohne Verweis auf den Mauerfall aus. Die einzelnen Kapitel reihen sich eher episodisch aneinander. Den roten Faden bilden drei Männer, mit denen Alex nebeneinander zusammenkommt, und Menschenaffen, für die sie sich begeistert. Duve lässt immer wieder Analogien zwischen der Welt der Menschen und der Affen einfließen.
Reminiszenzen an untergegangene Hamburger Kneipen und Clubs wie das Pickenpack, Lallebei oder Gestern & Heute bedient das Buch auch. Alex‘ Begegnung mit einem Zuhälter mit typischer Haarfrisur wird wie folgt beschrieben: Der Löwenmensch saß am Tresen mit einer Flasche Bier vor sich. Außer ihm war das Pickenpack völlig leer. Heute residiert im Schulterblatt 3 das Asia-Restaurant BOK. Unter dem Titel Als die Schanze ein Szeneviertel wurde nahm Jan Freitag von der ZEIT Abschied vom Pickenpack und dem Hamburg der 1980/1990er Jahre.
Alex beginnt wenige Wochen nach ihrem Eintritt in das Taxiunternehmen eine Affäre mit ihrem Kollegen Dietrich. Mehr aus Höflichkeit und Bequemlichkeit gibt sie seinem Drängen nach und wird seine Freundin für mehrere Jahre. Kurz darauf begegnet sie in der Thalia Buchhandlung in den Großen Bleichen 19 – die im Jahr 2014 geschlossen wurde – ihrem ehemaligen Mitschüler Marco, einem Psychologiestudenten. Dieser bildet den Kontrapunkt zu Dietrich und übt eine starke Faszination auf Alex aus. Noch am ersten Abend schlafen sie miteinander und beginnen eine Affäre, deren Spielregeln Alex bestimmt. Da Marco kleinwüchsig ist, kann sie sich lange nicht zu ihm bekennen. Ich war tatsächlich nicht besonders scharf darauf, mit einem Kleinwüchsigen aufzutreten, sinniert Alex. Dennoch wird sie immer wieder zu ihm zurückkehren und sich zuletzt für ihn entscheiden. Der dritte Mann in Alex‘ Leben ist der Journalist Majewski, der ihr mit seinen unzähligen Affären ihre Unabhängigkeit lässt.
Alex‘ zunehmender Lebensüberdruss und Menschenhass entlädt sich schlussendlich, als sie bei einer Taxifahrt den Schimpansen eines Fahrgastes entführt, um mit diesem nach Afrika durchzubrennen. Die erhoffte Flucht aus ihrem bisherigen Leben endet aber bereits am Horster Dreieck, als der Affe ihr in das Lenkrad greift und sie mit dem Taxi verunglückt. Im Grunde hatte ich es schon immer gewusst: In dem Moment, in dem ich zum ersten Mal eine eigene Entscheidung traf, würde es eine Katastrophe geben, denkt Alex kurz vor dem Unfall. Dieser Unfall markiert ihren Ausbruch aus der Taxifahrerwelt.
Auch wenn das Buch kein Hamburg-Roman ist, ist die Stadt natürlich Schauplatz für die zahlreichen Erlebnisse der Hauptprotagonistin. Dabei spielen die Taxiposten und das Warten auf den nächsten Fahrgast eine zentrale Rolle. Immer nur warten. Am Posten Karl-Muck, am Siemersplatz, am Großneumarkt. Es hat mich auf meiner Literatour erstaunt, wie viele Taxiposten mit Rufsäulen es immer noch gibt – trotz Mobiltelefonen und Apps wie MyTaxi.
Und andererseits sind da die Fahrziele der Gäste, über die Karen Duve immer wieder genauestens berichtet. Alex‘ erste Fahrt führt sie nach Winterhude in die Meerweinstraße, unweit der Jarrestadt. Die Meerweinstraße war eine kleine Wohnstraße mit roten Backsteinhäusern, eine Einbahnstraße.
Dass die Architektur auch Sinnbild menschlichen Elends sein kann, wird an der Lenzsiedlung in Eimsbüttel verdeutlicht: Erst kamen die roten Balkons, dann kamen die grünen Balkons und dann die gelben. Die grauweißen Hochhäuser mit ihren waagerechten und senkrechten Linien und den bunten Balkonstrichen (…) sahen für mich immer wie das Schaubild einer Statistik aus. Ein Schaubild, an dem sich das Elend der Menschen verdeutlichen ließ.
Die Zitate entstammen: Karen Duve: Taxi, 2008, Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg.
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