Der goldene Handschuh

Strunks Roman spielt in den Jahren 1974 und 1975 und beleuchtet die Welten von drei Protagonisten: Friedrich Paul (Fritz) Honka, dem Frauenmörder von St. Pauli, und den fiktionalen Reedersöhnen Karl von Lützow und Wilhelm Heinrich von Dohren. Strunk zeichnet diese beiden als bürgerliche Pendants zu Honka und dessen lumpenproletarischem Milieu. Wilhelm Heinrich ist das jugendliche Gegenstück zu Honka: ein leicht missgebildeter, daueronanierender Teenager. Von Lützow fungiert als misogyner Soziopath, der zu seiner Umwelt und insbesondere zu seinen Geliebten eine empathielose, fast sadistische Beziehung führt. Und Honka? Dessen Charakter wird als Lebens- und Persönlichkeitsverwahrlosung, die (…) ihren Tiefpunkt darin findet, dass er schließlich im niedersten Milieu St. Paulis anzutreffen ist (goldener Handschuh usw.) beschrieben. In der Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“, die auf dem Hamburger Berg seit 1953 an 365 Tagen rund um die Uhr geöffnet hat, führt Strunk dann auch die Handlungen der drei Protagonisten am Ende des Romans zusammen.

„Zum Goldenen Handschuh“ oder Honka Stube auf dem Hamburger Berg

Der Goldene Handschuh ist heute – nicht zuletzt durch die Popularität von Strunks Roman – eine Eventlocation und wird vorwiegend von einem jüngeren Publikum besucht. Zum Zeitpunkt der Bildaufnahmen ist das Gebäude am Hamburger Berg 2 eingerüstet.

Honkas kleine Welt

Von Lützows Welt ist – trotz seines vielfältigen Kapitals – klein wie die Honkas. Sie besteht aus seinem Rechtsanwaltsbüro und Haus in Kiel; nur gelegentliche Ausflüge mit seiner Schwester an die Kieler Förder bringen unerwünschte Abwechselung in Lützows Alltag. Honkas Welt besteht aus seinem Arbeitsplatz, zunächst als Werftarbeiter im Hamburger Hafen, dem Goldenen Handschuh und der Wohnung in der Zeißstraße in Ottensen. Vorbei an schmutzigen, zerfressenden, abblätternden Außenwänden, zersplitterten Fensterscheiben, vor sich hin rostenden Emailschildern, bröckelnden Farben, unverputzten Mauern, bis sie die Zeißstraße 74 erreicht haben, so schildert Strunk das zwischen Altonaer Bahnhof, der Fabrik und dem Alma-Wartenberg-Platz eingeklemmte Quartier in Ottensen. Mit seinen kleinen Stadthäusern und engen Kopfsteinpflasterstraßen wirkt es heute fast pittoresk. Nur wenig erinnert noch an die 1970er Jahre, als dort vorwiegend Arbeitsmigranten und Arbeiter lebten.

Honkas Wohnhaus in der Zeißstraße 74 in Ottensen

Honkas kurzzeitiger Ausbruch aus dieser Welt, Mitte 1974, beginnt mit seiner Nachtwächtertätigkeit bei einem Mineralölkonzern in der City-Nord. Als Fiete sein Ziel, den Kapstadtring Nummer zwei, erreicht, strömen die Mitarbeiter in Scharen vom Gelände. Strunk benennt Shell als Arbeitgeber Honkas, das im Kapstadtring 2 gelegene Verwaltungsgebäude gehörte aber bis Ende der 1990er Jahre der Esso und ist heute im Besitz der Allianz. Auch in Fathin Akins Romanverfilmung „Der Goldene Handschuh“ wird das Esso-Gebäude mit seinen charakteristischen Rolltreppen, den ersten in einem deutschen Bürogebäude, gezeigt.

Das ehemalige Esso- und heutige Allianz-Gebäude in der City Nord

Während einer Nachtwache lernt Honka Helga Denningsen, die dort nachts als Putzfrau arbeitet, kennen. Die beiden freunden sich an. In dieser kurzen Phase des Erwachens entdeckt Honka das Hamburg der Touristen und der Sonntagsspaziergänger. Hafenrundfahrt. Zum ersten Mal im Leben. Wo er doch über zehn Jahre dort gearbeitet hat. Bei den Landungsbrücken angekommen, streunert er eine Weile unschlüssig umher. Da meint man sich auszukennen, doch in Wahrheit weiß ein x-beliebiger Tourist nach nur einer Hafenrundfahrt mehr als man selbst nach vielen Jahren, lässt Strunk seinen Protagonisten denken.

Barkasse an den Landungsbrücken

Dann in den Zoo, wo der weltberühmte Hagenbecks Tierpark doch praktisch um die Ecke ist. Der Zoo wirkt irgendwie leer und leblos (…) Am Sommerrestaurant „Flamingo-Lodge“ legt Fiete eine Rast ein. Der Besuch des Tierparks in Lokstedt endet jämmerlich für Honka und wird sein letzter bleiben.

Flamingo Lodge in Hagenbecks Tierpark

Kein neues Leben im alten möglich

Man kein neues Leben beginnen, sondern nur das alte fortsetzen. So fasst Strunk die Unausweichlichkeit des eigenen Seins zusammen. Die Situation mit Denningsen eskaliert dann auch bereits nach wenigen Wochen, als Honka sich während einer Nachtschicht auf diese stürzt, um sie zu vergewaltigen. Danach erlischt Honkas kurzweiliges Erwachen und Interesse an der Welt vollkommen. In dieser Zeit verübt er drei seiner insgesamt vier Morde an älteren Frauen. Strunk schildert dieses letzte Jahr vor Entdeckung der Mordtaten als ein alkoholgetränktes Delirium, in dem Honka sich in einen Mordrausch zecht. Nach einem Brand in Honkas Wohnhaus, bei dem die Feuerwehr auf die Leichenreste der ermordeten Frauen in dessen Wohnung stößt, wird dieser inhaftiert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Honka verstirbt 1998 im Krankenhaus Ochsenzoll, das heute zum Asklepios-Konzern gehört, in Hamburg.

Psychiatrische Klinik in Ochsenzoll

Die Zitate entstammen:

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2. Auflage, 2016.

Folge mir auf:


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert